Petra Joy, seit 2004 alternative und unabhängige Porno-Filmemacherin, über masturbierende Männer, sexuelle Erziehung, Zensur und weibliche Orgasmen.
Du bist eine der Vorreiterinnen weiblicher Porno-Regisseurinnen. Gab es vor dir schon Frauen, die sich in der Richtung versucht haben aber leider nicht bekannt geworden sind?
Petra Joy: In den USA gab es seit den späten 80ern Pornos-Regisseurinnen. In Deutschland gab es „nur“ Filmemacherinnen, die im Bereich Fetisch oder Lesbisch gearbeitet haben, was aber die durchschnittliche Heterofrau nicht erreicht hat. Das hat wirklich erst Anfang der 2000er Jahre begonnen. 2004 habe ich „Sexual Sushi“ gemacht. In Deutschland war ich die erste, würde ich sagen.
Hattest du unter den amerikanischen Regisseurinnen Vorbilder oder hast du auf ganz eigene Art und Weise angefangen?
Ich fand die Arbeit von Annie Sprinkle und Candida Royalle immer toll, bin auch heute noch mit ihnen befreundet, aber was das Publikum und mich auch gestört hat, ist der Look der 80er gewesen. Gerade Candida Royalle ist es gelungen, den Fokus auf weibliche Lust zu legen und auch mit Humor zu arbeiten, aber es waren auch viele Dinge dabei, die ich nicht so schön fand, die Pornostars mit den riesigen gefakten Brüsten und auch das Styling. Es ging gar nicht darum, etwas nachzumachen. Sexual Sushi war einfach ein Experiment. Ich habe nie gesagt, ich gründe jetzt eine Pornofirma, ich sage heute noch, es ist das tollste Hobby der Welt. Ich kam aus dem Fernsehbereich, war Dokufilmemacherin und hatte 2004 angefangen, Erotikfotos für Frauen und Paare zu machen. Dabei kam immer wieder die Frage auf, was es denn in der Richtung an authentischen, künstlerischen Filmen gibt, aber in konnte in der Richtung gar nichts empfehlen. Da fiel der Groschen und ich dachte, ich hab hier meinen kleinen Camcorder und gehe oft auf Sexpartys und Events und dachte, vielleicht drehe ich einfach mal was selber. Und so entstand Sexual Sushi mit einem befreundeten Pärchen über mehrere Wochenenden weg in meiner Wohnung. Ganz klein, nur ich mit einem Camcorder, keine Crew, kein Make-up, kein Ton, kein Licht. Es hat uns total Spaß gemacht, aber es hat dann ewig gedauert, ehe dieser Film in die Shops kam, weil ich mit einem kleinen Demoband auf die Venus Messe ging und dort auf eine „Mauer“ aufgeschlagen bin, wo es hieß: „Was ist das denn? Sie beenden die Sexszene nicht mit einem Cumshot, sie haben keine Pornostars, da gibt es Silhouetten-Szenen? Es sieht ja ganz schön aus, aber vertreiben können wir das nicht. Das würde keiner kaufen.“ Die Leute haben es überhaupt nicht verstanden. Aber allen Unkenrufen zum Trotz wurde Sexual Sushi dann ja zum Erfolg. Als er es dann wirklich in die ersten Shops schaffte, hat das Publikum entschieden und den Film gekauft und ich verkaufe den Film heute, elf Jahre später, immer noch. Es war einfach so weit, dass das Publikum gesagt hat, es will mal etwas anderes, neues probieren, Sushi statt Hot Dog.
Du setzt, so wie Séparée das mit Worten tut, deine eigenen und die Fantasien anderer Frauen filmisch um. Ändern sich diese Fantasien im Laufe der Zeit stark oder variiert nur die Umsetzung und die Kernideen bleiben immer gleich?
Es sind im Großteil die Fantasien der Darstellerinnen und Darsteller und auch viele Geschichten, die Frauen mir schreiben. Eine Frau schrieb zum Beispiel, dass sie keinen Partner hat und auch keinen möchte, sich aber alle drei Monate einen männlichen Escort gönnt und sich nach Strich und Faden in einem 5-Sterne-Hotel verwöhnen lässt. Das war zum Beispiel Inspiration für eine Szene, die ich dann gedreht hab. Ich finde das unheimlich schön, Fantasien von anderen Frauen zu visualisieren. Oder eine Frau, die sich einen Dreier mit zwei Männern, die auch miteinander agieren, gewünscht hat. Die Darstellerinnen sind extrem wichtig, weil es darum geht, authentische Lust zu zeigen. Ich würde nie jemanden über eine Agentur buchen und sagen ich brauch jetzt hier das und das. Es ist eher so, dass Leute sich bei mir bewerben und ich Matchmaking mache und sage, die würden doch zusammen passen und das und das könnten wir doch mit denen drehen. Es ist immer maßgeschneidert auf die Leute, mit denen ich drehe.
Meine eigenen Fantasien ändern sich eigentlich nicht, ich sehe immer noch gern Männern beim Masturbieren zu. Die Kleinigkeiten, die bei jedem Mann anders sind. Das finde ich immer noch heiß, das drehe ich immer noch gern. Die Frau als Mittelpunkt des Sexszenarios ist für mich auch wichtig. In meinen Filmen wird die Frau immer die Heldin sein. Ich möchte bekommen, was ich will und ich möchte, dass die Frauen in meinen Filmen bekommen, was sie wollen. Ich spiele gern mit Rollen, stelle gern Klischees auf den Kopf und ich glaube, dass das für das Publikum inspirierend ist, einfach mal umzudenken und zu sagen, ja, eigentlich ist das total heiß, wenn mein Freund sich hochhackige Schuhe anzieht und durchs Schlafzimmer läuft.
Was glaubst du, wie man dem Porno sein Schmuddelimage nehmen und als legitimes Genre vom Film und als Teil vom Liebesspiel für die breite Masse etablieren kann?
Ich glaube, ich trage jetzt schon seit elf Jahre meinen Teil dazu bei. Früher habe ich meine Filme „Artcore“ genannt, dann kam irgendwann das Label der Presse „Frauenporno“, mit dem ich nicht so glücklich bin, weil meine Pornos nicht nur für Frauen sind. Sie sind aus weiblicher Perspektive, aber für alle Menschen, egal welches Geschlecht, Mann, Frau, Trans, was auch immer. Immer mehr Filmemacherinnen und Filmemacher drehen nicht mehr grell ausgeleuchtet und breit gespreizt, sondern behutsam mit einem schönen, verschwommenen Hintergrund. Da gibt es jetzt viele Bemühungen und ich glaube, der Crossover ist schon passiert, das ist keine futuristische Vision mehr. Für das Crossover – ist das jetzt Porno oder Kunst – gibt es schon ganz viele Beispiele, die ja auch weltweit auf vielen Festivals gefeiert werden, dass Filme optisch schön und dabei auch explizit sein können. Ich glaube, gesellschaftlich müssen wir insgesamt noch einen Schritt weiter zurückgehen, in unsere Kindheit und Erziehung. Da muss die Scham entfallen. Sexerziehung darf nicht nur Safer Sex und Verhütung sein, sondern dass die Kids lernen – und zwar nicht vom Porno, sondern zu Hause oder in der Schule, wie man die eigenen Bedürfnisse entdeckt, wie man sie ausdrückt, Grenzen zieht, wie man sich selbst oder sich gegenseitig Lust verschafft. Das finde ich ganz wichtig. Sonst ist es so, dass die Kids einfach online Pornos gucken, und nicht die allerbesten und daraus ihre Sexerziehung bekommen. In Dänemark wurde gesagt, Pornos sollten in Schulen gezeigt werden, da muss man natürlich vorsichtig sein, welche Pornos, aber grundsätzlich finde ich, wenn Teenager, die sowieso schon selbst Sex haben, explizite Erotikfilme in einem geschützten Rahmen sehen, vielleicht nur Mädchen unter sich oder Jungs unter sich, dass dann diskutiert und hinterfragt wird, ist das eigentlich erstrebenswert. Das würde das Ganze anfassbarer machen, glaube ich.
Die Industrie wird sich nie verändern, die Industrie hat zurecht ein Schmuddelimage, denn die spielt nicht immer mit sauberen Karten. Porno hat einen schlechten Ruf bekommen, weil es nicht immer fair zugeht auf den Sets. Es gibt inzwischen viele unabhängige Porno-Filmemacherinnen und Filmemacher und wir zählen uns nicht zur Industrie. Was wir machen, ist kein Nischenprodukt mehr. Es gibt inzwischen nicht mehr nur eine Art von Pornografie, es gibt erfolgreiche Bestrebungen, die das Genre revolutionieren und uminterpretieren. Ich glaube, dass das inzwischen auch im Mainstream ankommt.
Es hat von Außen den Anschein, dass männliche Regisseure sich gar nicht um den Ruf der Pornografie scheren. Bleibt es den Frauen überlassen, das Genre gesellschaftsfähig zu machen?
Meine Mission ist es nicht, den Ruf der Pornografie zu retten. Meine Filme werden vom Zensor als Pornografie eingestuft, die dürfen nur in Sexshops verkauft werden und nirgendwo anders, während es Filme wie „9 Songs“ oder „Nymphomaniac“ auch frei käuflich auf Amazon gibt. Bin ich so glücklich mit dem Label Porno? Vielleicht nicht unbedingt, weil es eben viele negative Konnotationen hat, das merke ich immer wieder. Wenn ich hier als Firma ein Konto aufmachen will und ich ehrlich sage, ich bei eine Erotikfilm-Produktion, kommt „Aha, Pornografie. Nee, das machen wir nicht.“ Paypal zum Beispiel hat eine Non-Adult-Policy. Ganz wenige Banken geben dir ein Geschäftskonto. Deswegen wäre ich eigentlich glücklicher, ich könnte sagen, ich bin unabhängige Erotikfilmerin. Ich mache provokante erotische Kunst, mit der ich ja meist auch gar keinen Gewinn mache. Das ist was, das ich aus Lust und Liebe mache und auch nicht immer im Mainstream vermarktbar. Die Revolution im Adult-Bereich liegt schon in weiblicher Hand , aber es gibt durchaus auch männliche Regisseure, die auch unabhängig arbeiten und interessante Filme machen. Es gibt auch viele interessante schwule Regisseure mit der Thematik „Gender-Fuck“, die es auch nicht überall zu kaufen gibt.
Gibt es beim Thema Jugendschutz große internationale Unterschiede?
Es ist in Deutschland und UK am allerstriktesten. Holland und Spanien sind am freisten, Amerika sowieso. In Spanien könnte ich die Filme frei über meinen Onlineshop verkaufen. Hier macht das jemand anders, der Großhandel vergibt dann auch die Altersverifizierung, die total viele Leute abschreckt. Wenn sich die DVD im Laden für 35 Euro verkauft, bekomme ich 6 davon. In England ist es noch schlimmer als in Deutschland, in England musst du Altersverifizierung machen für online streaming und kannst die Filme nur in bestimmten Hardcore Sexshops verkaufen, und das sind nicht die Shops, in die Frauen gehen. Den Launch von meinem Streaming Portal „Cinema Joy“ musste ich verschieben. England zensiert jetzt, was du online zeigen darfst. Nicht nur das es die Altersverifizierung gibt, du darfst darüber hinaus hier zum Beispiel kein Squirting und kein Facesitting zeigen. In Deutschland ist es zumindest so: Im Porno anything goes. In England hast du Jugendschutz und die Inhalte werden auch noch für die Menschen über 18 zensiert. Es ist okay wenn eine Frau drei Schwänze im Mund hat aber nicht wenn sie auf seinem Gesicht sitzt.
Vollkommen abstrus. Mit anderen Worten: du lebst nicht aus beruflichen Gründen in England.
Ich bin aus beruflichen Gründen hierhin gezogen, als ich fürs Fernsehen gearbeitet habe. Ich war Korrespondentin und habe in England viele Filme gemacht. Mittlerweile ist es in dieser Hinsicht eigentlich das schlimmste Land, in dem ich leben könnte.
Würdest du aus dem Grund das Land wechseln?
Ich bin schon einmal Immigrantin gewesen, ich habe Deutschland verlassen und hier ganz neu angefangen. Ich bin damals mit 50 DM in der Tasche rübergekommen, hab mir ein Zimmer gemietet, mir alles aufgebaut. Es war schwierig, aber jetzt ist es mein Zuhause und ich liebe unheimlich viele Sachen an England. Es hat mich kulturell extrem geformt, meine Kreativität, meine visuelle Sprache, aber klar spiele ich mit dem Gedanken zu sagen: Ja klar, Skandinavien. Weil Skandinavien mir auch politisch sehr entspricht, es ist feministisch, sehr grün, aber es ist hart, mit 51 Jahren nochmal alles einzupacken und woanders ganz neu anzufangen, eine neue Sprache zu lernen. Wenn England die EU verlässt, ist es hier sowieso vorbei mit meinem Business, dann muss ich hier weg.
Du hast dich damals für ein Pseudonym, für einen Künstlernamen entschieden. Würdest du das heute immer noch machen?
Ich heiße jetzt so, alles nennen mich so, meine Freunde, meine Bekannten, auf meiner Kreditkarte steht Petra Joy, das ist meine Identität geworden. Es ging damals darum, meine Familie zu schützen, ich hatte damals einen sehr außergewöhnlichen, seltenen Namen. Meine Familie unterstützt mich zwar in dem was ich tue, aber dennoch möchte ich ihnen die Probleme mit dem Stigma Porno nicht aufladen. Ich habe mir die Tätigkeit frei ausgewählt, aber meine Familie nicht.
Wie haben deine Familie und dein Freundeskreis damals reagiert und wie ist das heute?
Meine Familie würde sich wünschen, dass ich damit mal irgendwann etwas Geld verdiene oder etwas anderes mache, das Geld bringt. Sie haben mir mein Erbe frühzeitig ausbezahlt und das habe ich alles in die Sache reingebuttert und das ist jetzt halt weg. Sie sehen sich meine Filme an und merken, wie sich mein Stil weiterentwickelt hat und finden es auch toll und unterstützen das. Wenn es irgendwo Artikel über mich gibt, kauf mein Papa die Zeitungen und schickt mir die, aber sie sagen auch: Jetzt verdien mal etwas Geld. Aber sie sind toll gewesen, da hatte ich glücklicherweise nie mit zu kämpfen. Die kennen mich, die wussten, wenn ich das drehe, dann ist das was Schönes, was Besonderes, was Kreatives. Wenn das ein schönes Stück Film ist, ist es denen egal, ob das eine Doku ist oder ob ich da Sex zeige.
Hast du berufliche Situationen erlebt, in denen du dich als Frau benachteiligt gefühlt hast?
Ich hatte Glück, als ich fürs Fernsehen über Sex gedreht habe, für „Liebe Sünde“ zum Beispiel, wollten die den weiblichen Blick. Der alternative Zugang war denen unheimlich wichtig. In der Pornoindustrie habe ich es oft erlebt. Du sitzt als einzige Frau in einem Vertriebsmeeting und es kommt eine Bedienung oben ohne rein. Und man klapst ihr auf den Hintern und macht eine süffisante Bemerkung und du denkst: Very professional. Jetzt fühl ich mich wohl. Und einmal, vor etwa vier Jahren auf der Venus Messe in Berlin wollte ich Autogramme geben und der Moderator kündigte mich als Pornostar an. Der konnte sich gar nicht vorstellen, dass es da eine Regisseurin gibt. Oder Journalistinnen oder Shopinhaberinnen. Wenn du mit der Industrie zu tun hast, mit den Einkäufern, dem Vertrieb und den Shops, da gibt es ganz wenige Ausnahmen an angenehmen, netten Menschen. Grundsätzlich ist es oft sehr unangenehm.
Frauen können inzwischen in vielerlei Hinsicht gleichberechtigt mit den Männern agieren, sexuell wird aber immer noch zwischen Flittchen und ehrbarer Frau unterschieden. Ist das in deiner Wahrnehmung auch so?
Ich fand die Geschichte mit Nicki Minaj, die sagte „I demand orgasms every time I have sex“ kürzlich sehr interessant. Das war ein riesiges Ding in den Medien, was zeigt, dass man immer noch denkt, Sex ist eigentlich nur für Männer da. Männer haben garantiert immer einen Orgasmus und wenn der Mann einen Orgasmus hatte, dann ist es auch vorbei. Das ist das, was Mainstream Porno uns auch immer wieder zeit: er spritzt ab, Schnitt, Ende der Szene. Sie ist dann stolz drauf, dass sie ihn zum Kommen gebracht hat, aber dass sie vielleicht noch gar nicht gekommen ist oder nochmal kommen will – er hat ja auch noch Finger und ne Zunge und Spielzeug – das wird nicht gezeigt. Und da beeinflusst Porno leider auch die Wirklichkeit. Der weibliche Orgasmus ist da nur die Sahne auf dem Kuchen, da hast du Glück, wenn du das ab und zu mal hast. Auch bei anderen Vorurteilen – Männer wollen mehr und öfter Sex, können immer kommen und kommen immer – gibt es riesigen Nachholbedarf. Leider gibt es keine Pin-up Kultur für Frauen, aber endlich gibt es jetzt immer mehr visuelles Futter, das Frau sich beim Masturbieren oder beim Sex anschauen kann. Und es tut sich auch ganz viel im Spielzeugbereich, im Toy-Design. Es ist eine ganz spannende Zeit. Wir erleben eine neue Welle der sexuellen Revolution und die ist in weiblicher Hand. Aber sie ist auch in Trans-Hand, denn ein ganz aktuelles Thema ist auch die ganze Bewegung, die sagt, Geschlechtlichkeit ist nicht binär, sondern besitzt ein Spektrum. Ich glaube, dass wir inmitten eines Umbruchs stecken, sexuell und gesellschaftlich, denn alles was im Schlafzimmer passiert, hat auch Einfluss auf den Rest des Lebens. Porno ist politisch, das Private ist politisch, was im Schlafzimmer passiert, ist politisch. Und das was im Schlafzimmer passiert, wird Wechselwirkungen damit haben, wie wir uns definieren als Frauen, Männer, Trans-Menschen. Daran können alle nur gewinnen, weil wir mehr Optionen bekommen, mehr Anteile von uns frei ausleben können. Ich kann Leute nur dazu ermutigen: Lebt euch aus, experimentiert. Die Palette der Möglichkeiten ist unbegrenzt, es ist ein ganzer Regenbogen der Lust.