Zieh dich aus!

Markus Wiehler ist Artist und Inhaber einer Strip-Agentur. Mit mir sprach der ehemalige Stripper über die Anfänge des Men-Strips in Berlin, über ausgefallene Anlässe für einen Strip und die letzte Hülle fürs Gemächt.

Wann hast du mit Strippen angefangen und wie kam es dazu?

Markus Wiehler: Das war 1993. Zu der Zeit hatte ich gerade Akrobatik-Pause und habe eine Ausbildung zum Physiotherapeuten in Berlin gemacht. Ich hatte in der Zeitung eine Anzeige für eine Stripschule gesehen.

War Men-Strip damals schon institutionalisiert?

Es gab in den 90ern in Berlin eine Gruppe, die nannte sich Phantom-Boys. Das war meiner Meinung nach die erste deutsche Men-Strip-Gruppe. Und es gab so alte Lokalitäten wie „Joe am Wedding“, dort ist diese Show immer sonntags aufgetreten. Die Herren kamen mehr aus dem Travestiebereich, zeigefreudige, teilweise homosexuelle Männer aus dem Umfeld der Kleinen Nachtrevue in der Kurfürstenstraße. Dort muss sich das entwickelt haben. David Vilches, den ich heute noch kenne, hat die Gruppe gegründet. Es sollen sogar ein, zwei von den Chippendales in Berlin geblieben sein, einfach wegen des Berliner Nachtlebens.

Die Chippendales waren also die Vorreiter?

Die gibt es seit 1979. Ich habe die Chippendales Anfang der 90er gesehen, noch bevor ich wusste, dass meine Laufbahn sich in diese Richtung entwickeln würde. Das war in einem riesigen Zelt vor der damaligen Deutschlandhalle und es war voll mit 2000 Frauen. Und ich zwischen diesen 2000 Frauen. Das war vielleicht auch eine Inspiration.

Wie ging deine Laufbahn als Stripper dann richtig los?

Ich habe neugierig bei der Stripschule angerufen und die Inhaberin sagte mir, ich könne vorbeikommen. Das war Inge Albert. Sie war zu DDR-Zeiten u. a. Tänzerin bei „Michael Hansen & die Nancys“. Kurz bevor die Wende kam, hatte sie die ersten Stripshows in Ostberliner Nachtclubs organisiert, speziell in Bars, wo Westberliner zu Gast waren. Das war nicht verboten, aber leicht verrucht. Und nach der Wende hat sie diese Stripschule gegründet, wobei die Bezeichnung etwas hochtrabend war. Sie hatte einen Keller, wo ein paar Kostüme und Federboas rumhingen. Ich sollte dann hin- und herlaufen und sie sagte, sie kenne mich irgendwoher.

Kanntet ihr euch tatsächlich?

Sie erkannte mich an meinem Gang und an meinem Hintern, weil ich den gleichen habe wie mein Vater. Mein Vater war auch Akrobat und zu ihrer Zeit auch mit Michael Hansen unterwegs. Wahrscheinlich hatte sie den Hintern von meinem Vater damals genauer angeguckt (lacht). Dann hat sie mit mir ein paar Schritte geübt und mir gesagt, dass ich am nächsten Samstag den ersten Auftritt habe. Ich hatte kein Kostüm, ich hatte nichts, das fand ich sehr uncool, denn als Akrobat bin ich gewöhnt, dass man eine Choreografie hat. Ich hab dann einen ehemaligen Freund von meiner Akrobatik, mit dem ich jetzt auch wieder als Akrobat zusammen arbeite, angerufen und gesagt, wir müssen hier irgendwas machen. Also haben wir „Unchain my Heart“ von Joe Cocker genommen und eine lockere Choreografie überlegt.

Was für ein Auftritt war das?

Das war für einen Geburtstag in einem Hochhaus in Spandau. Party-Strip war in der Zeit eigentlich noch gar nicht üblich. Ich ging im Anzug mit einer Rose, denn ein neues Kostüm hatte ich mir nicht leisten können, und bin da rein, hab meinen Spruch gemacht und hab dann dort meinen ersten Wohnzimmer-Strip hingelegt. Ich fand das lustig. Ich meine, durch die Akrobatik war ich schon oft auf der Bühne, das war also nicht das Problem. Damals gab es für einen Strip 400 DM, wovon ich aber das meiste abgeben musste und mir nur 100 DM blieben, was ich merkwürdig fand, weil sie mich gar nicht ausgebildet hatte.

Sie hat dich also einfach ins kalte Wasser geschmissen?

Ja, sie hat mich dann auch gleich zur Margarete-Schreinemakers-Show mitgenommen, da hatte sie ihren Profi-Stripper mit und mich als Azubi. Sie wurde als Strip-Agentin vorgestellt und wir mussten eine kurze Vorführung machen, was dermaßen peinlich war, da ich ja noch nichts konnte.

Trotzdem hast du weitergemacht?

Ich habe dann eine Dame kennengelernt, die Modenschauen gemacht hat. Sie wollte eine Strip-Show à la Chippendales entwickeln und auch so eine Gruppe gründen. Sie hatte schon Pedro, einen rumänischen Kung-Fu Kämpfer, Gigolo Ralf und Terry G. und dann haben wir die Show zusammengestellt. Wir sind sonntags wechselweise mit den Phantom-Boys aufgetreten und kamen beim Publikum sofort gut an. Es hat sich in den frühen Nachwendejahren so eine Szene entwickelt, es gab immer Ladies Nights, zum Beispiel donnerstags im Jeton auf der Frankfurter Allee und mittwochs im Tollhaus in der Siegfriedstraße, also sind wir dreimal die Woche mit dieser Managerin unterwegs gewesen, die auch ganz gut an uns verdient hat. Bis wir dann so weit waren, dass ich gesagt habe, Jungs, das machen wir jetzt alleine. Es gab da einen richtigen Markt. In den Nachwendejahren haben in der gesamten ehemaligen DDR die Großraumdiskotheken aufgemacht und die Leute wollten Party machen. Es gab ein paar Agenturen, die haben vom Ölwrestling bis zum Schlammcatchen diese ganzen Sachen angeboten und eine Agentur hat uns dann geschlagene zwei Jahre mit unserer Show durch Deutschland geschickt. Am Anfang zu viert, das hat sich aber nicht rentiert, dann zu dritt. Eine kleine Show, Chippendale für Arme, sag ich immer. Das war eine tolle Zeit.

Und danach kam die eigene Strip-Agentur?

Irgendwann ist das Ding mit den Diskotheken durch gewesen und dann kam der Party-Strip auf.

Leute, die uns kannten, sagten, Mensch, könnt ihr nicht zum 18. Geburtstag meiner Tochter oder zu Omas 80. zu uns kommen. Wenn’s geht als Polizist. Gigolo Ralf hat über einen Freund bei der Polizei die Uniformen besorgt. Mir war die Uniform viel zu groß und ich muss so daneben ausgesehen haben. Aber von einem Tag auf den anderen war unser neues Geschäftsfeld geboren und tolle Jahre mit vielen Auftritten begannen: Geburtstage, Firmenfeiern, Weihnachtsfeiern … Weil mir die Uniform nie gepasst hat, hab ich dann immer den betrunkenen Polizisten gespielt. Mein Kollege hat immer geklingelt und gesagt, wir hätten einen Unfall mit dem Dienstwagen und ich bin dann betrunken in den Raum gefallen, mit einem kaputten Lenkrad und einer Whiskeyflasche in der Hand.

Wieso hast du aufgehört, selbst zu strippen?

Als Stripper hat man eine Halbwertszeit, ich sag mal so bis 35 kann das bei Männern laufen, dann hat man das Problem, dass, wenn man zum 18. Geburtstag gebucht ist, die Dame die eigene Tochter sein könnte. Spätestens da sollte man überlegen, ob man den Beruf wechselt.

Wobei es ja auch älteres Publikum gibt.

Ja, es ist vom 30., 40. bis zum 100. Geburtstag alles dabei. Das war das älteste, was wir hatten. Wir haben auch schon auf einer Beerdigung gestrippt. Der da gestorben war, war ein Rocker gewesen, der gesagt hatte, auf seiner Beerdigung muss Party sein. Ich hab auch schon morgens im Kindergarten eine Kindergärtnerin zum Dienst begrüßt, weil sie Dienstjubiläum hatte. Die Kinder wurden dann schnell in einen anderen Raum geschoben. Im Partystripbereich ist es immer wieder eine Überraschung, das hat immer Spaß gemacht. Dann kam irgendwann meine Halbwertszeit, die Kundschaft blieb aber nicht aus, also bin ich ausgestiegen und habe eine Agentur gegründet und Leute dazu genommen.

Werden mehr Frauen oder mehr Männer gebucht?

In den 90ern und bis ca. 2005 war es fifty fifty. Seit ca. 2005 hat sich die Szene komplett gewandelt. Die Geburtstage waren durch, jeder hatten seinen Strip gehabt und plötzlich kam die Junggesellenpartyzeit, von der jetzt eigentlich alle Stripagenturen in Berlin leben, ich auch, das ist inzwischen mein Hauptgeschäftsfeld. Bei den Frauen gehört es zu 80 % dazu, einen Stripper zu haben. Die Agenturen leben davon, dass es in ist, in Berlin zu feiern. Die kommen aus Bayern, Schwaben, Brandenburg hierher, da waren plötzlich mehr Männer gefragt. Seit etwa drei Jahren kommen sie sogar international, speziell aus England und Skandinavien. Bei den Engländern ist es bei den Junggesellen in, irgendwohin zu fahren. Für diese Gruppen gibt es inzwischen von „Steak & Strip“ bis zu „Sexy Wake-up Call“ so ziemlich alles. Jetzt hat es sich wieder umgekehrt, etwa 70 % Frauen und 30 % Männer.

Das klingt so, als hättest du Bedarf an Personal. Suchst du Stripper? Männer im Besonderen?

Absolut. Es kommt kein Nachwuchs. Manche Stripper kommen vom Gogo zum Strip, aber es ist ganz schwierig, Nachwuchs zu finden.

Was müssen männliche Stripper grundsätzlich mitbringen?

Narzissmus. Und sie sollten ihren Körper, was Rhythmusgefühl betrifft, halbwegs unter Kontrolle haben. Muss aber auch nicht sein, denn strippen ist nicht gleich tanzen. Es gibt Stripper, die super tanzen können, das ist von Vorteil, ist aber nicht Grundbedingung. Ein bisschen Musikgefühl, gutes Aussehen, Muskeln. Das reicht eigentlich.

Was macht einen richtig guten Stripper aus?

Gepflegtheit. Ordentliche Kostüme. Ausstrahlung. Das ist am wichtigsten, aber das haben die wenigsten. Es muss angenehm für die Kundschaft sein. Wobei ein Strip für zehn Engländerinnen, die schon was getrunken haben, anders abläuft als bei Omas 80. Geburtstag in Marzahn. Schauspielerisches Talent kann auch nicht schaden, denn Authentizität der Eröffnungsstory ist wichtig, denn das ist, was in den Köpfen bleibt. Aber das entwickelt sich erst. Wenn ich einen neuen Stripper habe, dauert es eine ganze Weile, bis er weiß, was sage ich als Polizist, wie benehme ich mich als Pizza-Mann an der Tür.

Bildest du die Männer aus?

Ja. Ich habe auch ein paar Probebühnen zur Verfügung, wo regelmäßig Men-Strip stattfindet, da kann ich die Jungs auch mal ein bisschen ausprobieren lassen.

Männer halten sich beim Strip am Ende ja immer ein Tüchlein vors Gemächt. Warum ist das so?

Das ist eine Tradition, die ich nicht begründen kann. Es ist mir unbegreiflich, warum das so ist. Die Phantom-Boys aus den 90ern haben die letzte Hülle fallen lassen, die Chippendales machen es aber nicht. Ich denke, dass es daher kommt. Ich habe selbst schon darüber nachgedacht. Wollen die Frauen das vielleicht sehen und sollte man das mal ändern? Aber Frauen haben mir gesagt, das muss gar nicht sein.

Meinst du nicht, es liegt doch an den Männern, die es nicht wollen?

Das liegt an der Tradition. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz durch die Chippendales. Wir zeigen es einfach nicht.

Ich habe vor dem Strip für Séparée leider vergessen darum zu bitten, dass der Stripper am Ende komplett nackt ist.

Das hätte er nicht gemacht. Da haben sie ihren … na, Stolz kann man auch nicht sagen …

Befindlichkeiten?

Naja, warum sollte das jetzt so sein. Okay, wenn sich jetzt ein Trend entwickelt, dass das jetzt auf einmal mehrere machen, eventuell für mehr Gage, aber im Moment sehe ich da keine Tendenzen.

Und wie ist das bei strippenden Frauen?

Früher in den 90ern wurde nicht mal der String ausgezogen. Die Brüste wurden immer gezeigt, aber auch die lange bedeckt. Jetzt geht das mittlerweile so weit, dass bei den Partys angefasst und eingecremt wird. Der Slip wird inzwischen ausgezogen, aber immer verdeckt. Manche Damen haben ein Wedeltuch. Der übliche Gag ist dann, dem Junggesellen zu sagen, guck mir in die Augen. Dann öffnet sie das Tuch und bevor er reagiert und da hin guckt, ist das Tuch wieder zu. Die Damen, die vom Tabledance kommen, sind da aber auch freier und lassen das Tuch auch mal länger weg und drehen sich eine Runde.

Gibt es männliche Stripper, die extra für Männer oder Frauen strippen?

Nein, bei uns ist das vollkommen egal. Von 50 Veranstaltungen sind vielleicht fünf für gleichgeschlechtliche Junggesellenpartys. Meine Männer treten auch für Männer auf. Es gibt zwei, drei, die machen es aus religiösen Gründen nicht, der eine kommt zum Beispiel aus Brasilien. Es gibt halt Kulturen, wo es nicht geht, einen Mann anzufassen. Und bei den Damen genauso. Ich hab sogar zwei, die freuen sich, wenn sie mal für eine Frau strippen können.

Passiert es öfter, dass Stripper hinterher unlautere Angebote bekommen?

Ach, das gibt es schon. Es gab sogar schon, dass eine Braut, die heiraten wollte, zu dem Stripper sagte, du, bevor ich heirate, kommst du morgen nochmal zu mir. Aber ich lege Wert auf Seriosität. Von mir haben sie die Order, maximal ein Glas Sekt zum Anstoßen zu trinken. Das ist schon zeitlich bedingt, weil sie weiter müssen. Und ansonsten müssen sie das auch mit sich selbst ausmachen, ob sie zu Hause in festen Händen sind.

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