Kitzlerglück

Meine Tochter war – ganz die Mutter – schon immer ein aufgeschlossenes und munteres Wesen. Als sie fünf war und wir einmal Zug fuhren, blätterte sie in einer Illustrierten, die jemand dort hatte liegen lassen. Wir saßen uns in einem voll besetzten Sechser-Abteil gegenüber. Bei der Anzeige für ein Männerdeo, das einen knackigen Kerl in knapper Badehose zeigte, drehte sie das Blatt zu mir um und sagte für alle laut und deutlich hörbar „Hier, Mama, du magst doch nackte Männer.“ Das ganze Abteil lachte Tränen.

Als ich meine Liebe zu nackten Männern schließlich zur Profession machte und mit einer Freundin Séparée gründete, war meine Tochter 14. Die Magazine und auch dazugehörige Sekundarliteratur lagen bei mir weitestgehend offen herum. Und selbst wenn nicht, mit Sicherheit hätte sie während meiner Abwesenheit heimlich im Bücherregal oder wo auch immer gekramt. Oder in der Schublade, die meine Spielzeugsammlung und sonstige intime Utensilien beherbergt. Ich mache mir da gar keine Illusionen. Ich weiß, wovon ich rede. Früher, als ich noch bei meinen Eltern wohnte aber bereits meinen ersten Freund hatte, habe ich ebenfalls bei meinen Eltern in Schubfächern gewühlt. Ich habe mich dort mit Kondomen versorgt. Damals musst man noch in die Apotheke gehen und am Tresen danach fragen und das traute ich mich natürlich nicht. Dort im Schubfach meiner Eltern fand ich damals auch völlig unerwartet eine kleine Tube. „Kitzlerglück“ stand drauf. Verstört schob ich die Lade wieder zu. Selbstverständlich habe ich nicht gefragt, ob ich mir das Zeug mal ausleihen kann.

Heute sind wir im Mutter-Tocher-Verhältnis da schon ein Stück weiter. Weiter als mir geheuer ist mitunter. Eines Nachmittags, als ich ratlos an meinem Schreibtisch saß, half mir meine gerade aus der Schule zurückgekehrte Tochter dabei, bei einem kleinen zierlichen Taschenvibrator die Batterien zu aktivieren. Das war kurz vor ihrem 15. Geburtstag. „Kann ich den haben?“, fragte sie unvermittelt, als er fröhlich auf ihrer Handfläche vibrierte. Ich blickte irritiert von meiner Arbeit auf. Nein, natürlich nicht, widersprach ich sofort in Gedanken. „Ach, komm schon, zum Geburtstag. Du hast so viele“, beharrte sie in die Stille hinein. Meine Tochter mit einem Vibrator, selbst so einem zierlichen, das passte nicht, das wollte ich mir auch gar nicht näher ausmalen. Also sprach ich den spontanen ersten Gedanken laut aus. „Dann kauf ich mir eben selbst einen“, verkündete sie. Das fand ich dann auch wieder albern, wo das Zeug bei mir bergeweise rumlag. Rausgeschmissenes Geld. „Ich brauch aber einen“, fuhr sie fort, „ ich bin in der Pubertät. Die HORMONE! Oder willst du, dass ich jetzt anfange, rumzuvögeln?“ Ach Mist, hätt ich meinem Kind doch lieber nie das Argumentieren beigebracht. Rumvögeln fand ich noch weniger erstrebenswert – für das Kind in seinem zarten Alter.

Bis zu ihrem Geburtstag hatte ich mich dann doch durchgerungen, ihr den Wunsch zu erfüllen. Zum Glück war es unter der Woche und die Großeltern kamen nicht zu Besuch. Das Geschenk, oder wahrscheinlich eher die Tatsache, dass ich sie als Frau ernst nahm, freute sie enorm und ihre Freundinnen fanden mich mal wieder total cool. Nach dem Geburtstag landete die Packung dann erstmal im Regal – und blieb dort sicher ein ganzes Jahr unberührt stehen. Anscheinend drängte es damals doch noch nicht so sehr.

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