Die Lust der Anderen

Neugier ist der Anfang allen Abenteuers. Wie es in einem Swingerclub wohl zugeht und ob da wirklich alle so viel hedonistischer und wilder sind als man selbst, haben sich sicher schon viele gefragt. Mein Mann und ich haben eine „Erotische Schlossnacht“ auf Schloss Milkersdorf besucht und es in Erfahrung gebracht.

Wir fahren in den Spreewald. Diesmal allerdings nicht zum Paddeln. Mein Mann und ich sitzen heute allein im Auto, auf dem Rücksitz nur ein paar Kleinigkeiten und am Fenster der Bügel mit unserer Abendgarderobe. Zuerst steuern wir das Dorf an, in dem unsere Unterkunft liegt. Das Häuschen ist gemütlich und liegt bildschön, es ist beinahe schade, dass wir kaum Zeit darin verbringen werden. Während mein Mann duscht, werfe ich mich schon mal in Schale. Ein kritischer Moment. Ob wir es schaffen werden, das Haus zu verlassen? Wir hatten schon Schwierigkeiten, am Nachmittag aus dem Bett zu kommen, in das wir vor übereifriger Fantasie nach der Arbeit noch schnell springen mussten. Zum Glück haben wir das Taxi schon vor dem Umziehen bestellt, sodass wir nicht allzu detailliert abschweifen können.

Bei der Ankunft im Schloss sind wir aufgeregt wie zwei geschüttelte Brauseflaschen. Das Schloss, eigentlich eher ein gediegenes Gutshaus, ist romantisch erleuchtet, neben der kleinen Freitreppe brennt ein Feuer. Vor uns steigt ein anderes Paar die Stufen hinauf. Er trägt einen hellgrauen Anzug, sie ein kurzes Abendkleid unter dem Mantel. Sie könnten auch ins Theater gehen. Während die beiden sich anmelden, haben wir kurz Zeit, uns im Foyer umzusehen. Überall hängen alte Bilder an der Wand, schwere dunkle Möbel und eiserne Kerzenständer stehen an den Wänden. Wir bekommen einen Schlüssel für das Schließfach, in dem wir unsere Jacken und Wertsachen einschließen können. Dann gibt es einen Sekt und, weil wir Erstbesucher sind, eine kleine Einführung. Ebenerdig befinden sich zwei große Haupträume: das Kaminzimmer mit grünen Wänden und weinroten Ledersofas und der Raum mit dem Barbetrieb, in dem auch das Buffet steht und die Gäste speisen. Für Raucher gibt es außerdem einen sich direkt am Hinterausgang anschließenden beheizten Pavillon. Im Kaminzimmer wird paar- oder grüppchenweise parliert, die meisten Gäste sitzen aber noch im Barraum an kleinen hohen Tischen und essen. Es läuft gedämpfte Lounge Musik, die Gäste sind elegant gekleidet. Bisher lässt nichts den tieferen Zweck der Veranstaltung vermuten. Bis hierhin könnte man glatt seine Eltern mit hernehmen. „Das ist aber hübsch hier. Und endlich hat der Junge mal was Ordentliches an, nicht immer nur Jeans und Pullover.“

Wir setzen uns zu einem anderen Paar an den Tisch. Sie sind Mitte vierzig wie wir und extra quer durch Deutschland angereist, schon zum vierten Mal, wirken aber überhaupt nicht wie Hedonisten. Im echten Leben haben sie Haus und Hof und zu viel Arbeit und kaum Zeit für sich selbst, klingt aus ihren Erzählungen heraus. Mit so einem Abend gönnen sie sich eben ab uns zu mal was Aufregendes. Mein Mann und ich gehen nach dem leckeren Essen und den ersten Drinks auf Entdeckungstour. Im flachen gewölbten Untergeschoss liegen Sauna, Duschen und Whirlpool, flankiert von rot bezogenen Liegewiesen. Es ist noch niemand hier. Wir genießen ein paar Momente lang unsere Zweisamkeit und teilen unter kichern und küssen unsere ersten Eindrücke. Wir sind nicht wirklich darauf aus, mit anderen sexuell aktiv zu werden, wir wollen eher erstmal das Ambiente auf uns wirken lassen, zusehen was die anderen so treiben, und unter den Blicken der anderen zu zweit miteinander spielen. Wir haben abgesprochen, an diesem Abend nicht mit anderen zu vögeln oder zu knutschen, aber anfassen oder anfassen lassen von Brüsten, Hintern und Genitalien wäre okay, falls sich die Situation doch ergäbe. Für den Fall dass einer von uns etwas tut, das dem anderen unbehaglich ist, haben wir den Griff an den Ellbogen vereinbart. Dann muss niemand sich oder dem anderen eine Blöße geben und die Situation kann diskret beendet werden. Wir gehen wieder hinauf ins Kaminzimmer, das inzwischen voll ist. Alleine vögeln können wir ja auch zu Hause. Wir setzen uns auf einen großen Hocker vor dem Feuer und lassen unsere Sinnlichkeit von uns Besitz ergreifen. Wir sind noch vom unvollendeten Nachmittag aufgeheizt, und der besondere Reiz der Situation liegt daran, dass alle um uns herum noch brav Konversation betreiben. Niemand außer uns knutscht oder fummelt, das eine oder andere Paar beobachtet uns aber, merken wir aus den Augenwinkeln. Da wir nicht wissen, ob weiterführende Aktivitäten im Erdgeschoss erwünscht sind oder ob das Kaminzimmer ein unbescholtener Rückzugsort sein soll, gehen wir schließlich hinauf in die Vergnügungsetage.

Der obere Raum, in den die Treppe mündet, birgt diverse verschnörkelte Sofas und Sessel, ein kurioses Sexmöbelstück, das sich mir nicht sofort erschließt und ein aus grobem Holz gezimmertes Kreuz mit diversen Spielmöglichkeiten. Von dem Raum gehen diverse weitere ab, im ersten Moment meint man sich zu verlaufen, aber so kompliziert ist es dann doch nicht. Es gibt verschiedene Räume oder Nischen mit rot bezogenen Spielwiesen, eine Nacktsuite, einen Darkroom und einen mit Glory Holes, auch ein kleines abschließbares Séparée für ganz ungestörte Momente. Daneben gibt es Fächer zur Ablage von weiterer Kleidung und in jedem Raum liegen stapelweise Handtücher zum Unterlegen. Auch Kondome und Gleitgelspender stehen an strategisch günstigen Punkten. Wir entscheiden uns für eine große Polsterfläche mit einem Spiegel schräg an der Wand. Von unserer Position aus können wir außerdem das Holzkreuz nebenan sehen. Ein etwas üppiges Paar in den 50ern hat sich daran eingerichtet. Ihre Augen sind verbunden, ihre Hände oben am Kreuz fixiert. Breitbeinig steht sie in halterlosen Strümpfen da und lässt sich von ihrem Partner liebevoll den Po versohlen. Während mein Mann und ich uns vergnügen, hören wir seine Finger in ihrer Möse schmatzen, bis sie mit tiefem lustvollem Stöhnen immer wieder abspritzt. Von etwas weiter weg hören wir eine Frau monoton stöhnen, aber bei ihr klingt es eher nach inszeniertem Pornogestöhn. Vor unserer Liegefläche bleiben immer wieder Menschen stehen und sehen uns zu, aber niemand legt sich zu uns oder fasst uns an, obwohl wir nichts dagegen hätten. Wahrscheinlich spürt man, dass wir sehr innig miteinander beschäftigt sind. Aus den Augenwinkeln sehen wir manchmal Leute vorübergehen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Manche wirken eher wie verirrte Museumsbesucher, manche sachlich als wären sie im Büro, nur eben komplett nackt.

Nachdem wir – es stellt sich heraus etliche Stunden später – wieder aus unserer Seifenblase auftauchen, uns ausruhen und Wasser trinken, das in Karaffen bereit steht, wandern wir weiter durch die obere Etage und bleiben hier und da sitzen und gucken. Im Vorbeigehen fasst mir ein junger Mann kurz an die bloßen Brüste. Auf einem Sofa reitet eine kurzhaarige Frau auf einem Mann mit hübschem Schwanz. Er packt ihre Pobacken und zieht sie auseinander, sodass man seinen Schwanz in ihr verschwinden sehen kann. In einer Nische vögeln zwei nackte Paare nebeneinander, das eine genussvoll langsam, das andere hektisch rammelnd. Sie wechseln ab und zu die Positionen, danach die Partner. Auf einer großen Fläche liegen mehrere Paare wie Sardinen nebeneinander, aber jedes scheint dennoch für sich. Auf einem runden Polster in der Mitte des Raumes liegt eine Frau im Korsett und ein Mann hantiert an ihren ausladenden Brüsten und in ihrem Schritt. Es ist ruhig geworden, viele scheinen schon gegangen zu sein.

Wir beschließen hinunter an die Bar zu gehen um noch einen Drink zu nehmen. Und stellen fest dass es zwei Uhr ist. Ups. Sobald wir anfangen zu spielen, rast die Zeit. Wir kommen mit einem attraktiven älteren Paar ins Gespräch. Sie sind seit dreißig Jahren verheiratet und seit zehn Jahren Swinger, kennen viele Clubs und Urlaubsorte zu diesem Zweck und erzählen uns von ihren Anfängen und Erfahrungen seither. Auch sie sind schon oft aus Süddeutschland angereist, dafür bleiben sie das ganze Wochenende und kommen am folgenden Abend nochmal ins Schloss. Mit unserem letzten Drink ziehen mein Mann und ich uns in den Außenpavillon zurück. Dort ist niemand mehr und die Luft ist angenehm frisch. Als wir nach kurzem Schmusen einer ersten kurzen Auswertung wieder hereinkommen, sind alle weg. Wir brauchen noch ein Taxi, sagen wir dem Barmann, der uns entgeistert anguckt. Es ist halb vier. Freitags schließt das Schloss um drei. Immerhin dürfen wir im Foyer warten, denn draußen ist es inzwischen empfindlich kalt und mein Kleid reicht nicht mal bis ganz über den Po. Während wir dort sitzen, taucht noch ein Paar auf, das offenbar ebenso verspielt ist wie wir und die Zeit vergessen hat. Auch sie brauchen ein Taxi, in die entgegengesetzte Richtung. Die beiden sind jung, noch keine Dreißig, ich habe sie vorher gar nicht bemerkt. Sie, blond, etwas drall, in einem kurzen roten Fransenkleid. Er, groß und schlank, mit Hosenträgern auf dem freien Oberkörper und einem mehr als frechen Funkeln in den Augen. „Der hätte mir gefallen“, raune ich meinem Mann zu, tatsächlich der erste an diesem Abend. Wir gefallen den beiden offenbar auch. Als unser Taxi eintrifft, hält mein Mann kurz inne. „Sollen wir sie mitnehmen?“, raunt er mir zu. Ich zögere, dann schüttele ich den Kopf. Jetzt will ich lieber mit ihm allein sein, vor allem morgen früh allein mit ihm aufwachen.

Eigentlich sollten wir müde sein, aber die letzten paar Gin haben uns wieder angefeuert, und im Kopf schwirren unzählige neue Eindrücke und Fantasieszenarien herum, und darüber hinaus fällt die doch vorhandene Nervosität nun komplett von uns ab. Nach dem ersten Ansturm ganz ungehemmter Lust fallen wir ein paar Stunden in einen tiefen Schlaf, aber im Morgengrauen erwacht wie immer die Sinnlichkeit erneut mit uns und wir lieben uns, streicheln, knutschen und flüstern bis kurz vor Mittag. Wir schaffen es gerade noch kurz zu duschen und uns anzuziehen, bevor die Putzleute kommen und wir auschecken müssen.

Nach einem dringend notwendigen Frühstück in Cottbus, das nur wenige Kilometer entfernt liegt, fahren wir zurück nach Berlin. Am Nachmittag kommen die Kinder von den Großeltern zurück.

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