Anleitungen für japanische Bondage gibt es im Internet massenhaft, doch ohne grundlegende Vorkenntnisse bleibt es ein Gefriemel. Auch die Umsetzung eigener Ideen erweist sich ohne die richtigen Seile, Knoten und Techniken als schwierig, mit etwas Pech sogar gesundheitsschädigend. Seit unserer Teilnahme an einem Workshop können wir uns beim Fesseln nun einfach dem Vergnügen hingeben.
Das Spiel mit Macht und Unterwerfung fand ich schon immer sehr reizvoll. Nicht dass ich ausschließlich devot oder dominant wäre, aber jemandem zu zeigen oder gezeigt bekommen, wie mächtig und bedingungslos man begehrt (wird), ist unglaublich erregend für mich. Das Spiel mit Seilen ist nur eine Facette davon. Jemanden in einer bestimmten Stellung fixieren zu können und die Hände zur ungestörten Liebkosung frei zu haben oder andersherum dem Partner und seiner Fantasie vollkommen ausgeliefert zu sein, weil man von Seilen gehalten wird und sich fallen lassen kann ohne nachdenken oder etwas tun zu müssen. Ich mag auch den Anblick einer Fesslung auf dem nackten Körper, wenn zum Beispiel die Brüste umrahmt und dadurch akzentuiert werden. Mit dieser Vorstellung habe ich bei meinem Mann offene Türen eingerannt, aber über eine relativ stümperhaft improvisierte Fesslung mit weichen Baumwollseilen kamen wir nie hinaus. Spaß hat es uns trotzdem gemacht, aber ich dachte, ein wenig mehr Knowhow in der Richtung könnte nicht schaden. Wer weiß was wir noch so alles lernen und zu unserem Vergnügen einsetzen könnten.
Vor Kurzem haben wir also an einem Workshop für japanische Bondage teilgenommen. Matthias Grimme und seine Bondage-Partnerin und Co-Trainerin Nicole, die das „Bondage Project“ in Hamburg betreiben, haben neulich einen Kurs in Berlin gegeben. Matthias, ursprünglich Sozialarbeiter und seit vielen Jahren Herausgeber des BDSM-Magazins „Schlagzeilen“, betreibt schon seit etwa 30 Jahren Bondage. Nicole ist als Bondage-Model seit fast 20 Jahren dabei, seit 15 fesselt sie auch selbst aktiv.
Die beiden empfangen uns und die anderen Kursteilnehmer in einem Künstleratelier in einem Kreuzberger Hinterhof. Als wir eintreffen, sind schon einige der sieben teilnehmenden Paare in der ebenerdigen Küche versammelt. Es sind auffällig viele sehr üppige Frauen und Männer anwesend. Wahrscheinlich ist es für schwergewichtige Menschen besonders schön zu „fliegen“, überlege ich mir, denn hier soll es nicht nur für Anfänger um grundlegende Fesseleien am Boden, sondern für die Fortgeschrittenen auch um Hängebondage gehen.
Als alle beisammen sind, begeben wir uns in das geräumige Atelier im Keller hinunter. Auf dem Boden liegen Tatami-Matten, an den backsteineren Wänden und gemauerten Säulen hängen gerahmte Bondage-Fotos, an der Decke starke Haken. Wir setzen uns im Quadrat auf niedrige Polster, ein paar der üppigen Damen legen Decken auf den Boden und lassen sich im Schneidersitz darauf nieder, zu Füßen ihrer Begleiter. Bei der Vorstellungsrunde fällt uns auf, dass wir die einzigen Berliner sind, alle anderen sind für das Wochenende angereist: aus Cottbus, aus Frankfurt am Main, aus Köln und anderswo. Der Altersdurchschnitt dürfte um die vierzig liegen. Die meisten praktizieren Bondage schon länger, haben teilweise auch schon Kurse bei Matthias und Nicole besucht. Die beiden bitten darum, dass alle ihre körperlichen Befindlichkeiten nennen, auf die später beim Fesseln Rücksicht genommen werden sollte. Hier zickt ein Knie, dort eine Schulter, da der Rücken, fast alle haben irgendein Zipperlein. Das ist nicht das hartgesottene BDSM-Volk, das wir erwartet haben. Nur einer, der neben uns sitzt, wirkt mit seiner Glatze und seiner gestrafften Körperhaltung wie ein harter Kerl. Bei sich trägt er einen silberfarbenen Koffer, der wohl seine Instrumente beherbergt.
Dann wird es erstmal eine halbe Stunde sehr sachlich. Matthias und Nicole fangen mit den wichtigsten Grundlagen an, nicht nur für alle Neulinge, sondern auch für die Kenner zum Auffrischen. Ganz oben steht: der Gefesselte ist nicht das „Opfer“, sondern der Partner. Seine Befindlichkeiten haben beim Fesseln immer oberste Priorität, sei es eine juckende Nase, kalte Füße oder einschlafende Hände. Den Wünschen des Gefesselten ist immer sofort Folge zu leisten, gerade, aber nicht nur, bei Hängebondage. Einschlafende Gliedmaßen müssen sofort befreit werden, damit es nicht zu langfristiger Beschädigung der Nerven oder Taubheit in den Fingern kommt. Zwischen einem ersten unangenehmen Kribbeln und Gar-nicht-mehr-aushalten-können liegen oft nur ein paar wenige Augenblicke. Deshalb ist es auch extrem wichtig, den Gefesselten niemals allein im Raum zu lassen, und sei es auch nur für einen kurzen Moment, um etwas zu holen. Für den Notfall, falls das Abfesseln nicht schnell genug geht, sollte man auch unbedingt ein geeignetes Schneidewerkzeug griffbereit halten, zum Beispiel eine starke Schere mit abgerundeten Spitzen oder ein Tauchermesser.
Gefesselt wird mit Hanf- oder Juteseilen, die es in verschiedenen Längen und Stärken gibt, üblich sind Seile in 5 bis 6 mm Dicke und 8 Meter Länge. Auf dem Boden oder im Bett besitzen die DIN-Normen keine Relevanz, aber bei Hängebondage ist unbedingt auf die Tragfähigkeit zu achten.
Leichtfertig gehen Matthias und Nicole mit den Gefahren beim Bondage definitiv nicht um. Beiden fallen immer neue potenzielle Risiken und tatsächliche Vorkommnisse ein. So dumm wie es manchmal kommt, kann man gar nicht denken. Was mache ich zum Beispiel bei Feueralarm mitten in der schönsten Session? Und wie sieht es mit der rechtlichen Situation aus. In welchen Ländern stellt beiderseitig einvernehmliches Bondage trotzdem Freiheitsberaubung dar und wo kann man es ungestraft ausüben?
Alles wichtige Aspekte, keine Frage, aber mir schläft schon der Po vom unbequemen Sitzen auf den Polsterhockern ein und ich bin dankbar, als es endlich an die Praxis geht. Wir sollen unsere Schuhe ausziehen und bei Bedarf in bequeme Kleidung wechseln. Der Verwegene neben uns packt sich auch gleich seinen Koffer auf den Schoß und lässt die Verschlüsse aufschnappen. Wir schauen automatisch zu ihm rüber, insgeheim gespannt, was er wohl zu Vorschein bringen wird. Als er seiner Frau hellblaue Plüschsocken für den fußkalten Kellerboden rüberreicht, bricht die ganze Runde in Gelächter aus.
Einige der Frauen gehen sich umziehen und kehren in Leggins und enganliegenden Oberteilen ohne BH zurück, das ist wichtig, damit die Fesselungen dann auch gut sitzen und nichts einklemmen können. Eine der Teilnehmerinnen hat ihren Oberkörper komplett entblößt und ich tue es ihr gleich, denn ich spüre die Berührungen meines Mannes und das Gefühl der festen, leicht kratzigen Seile lieber auf meiner nackten Haut. Wir suchen uns ein Seil und eine Tatami-Matte und üben den Basisknoten, den Nicole und Matthias uns gezeigt haben. Wir fesseln uns gegenseitig die Hände, erst vor dem Körper, dann die Arme parallel hinter dem Rücken und über dem Kopf im Nacken. Der Trick ist es, die Hände eher locker zu fesseln und die Fesselungen am Körper anschließend eher fester, denn die Hände schlafen immer als erstes ein. Ein guter Tipp, das haben wir im Bett immer falsch gemacht, und dann habe ich die Fesselung nie so lange ausgehalten wie wir es gerngehabt hätten. Nachdem wir den Basisknoten beide draufhaben, beginnen wir mit verschiedenen Oberkörperfesselungen, das heißt, jetzt fesselt nur noch mein Mann und ich lasse mich fesseln. Er fängt auch ziemlich schnell an rumzuprobieren, was ziemlich lustig ist, und entweder Nicole oder Matthias kommen bei uns vorbei und geben Anregungen und Tipps. Ich als Gefesselte soll mich möglichst nicht bewegen, sondern mich passiv verhalten und mich fesseln lassen. Sie zeigen uns, wie man das Seil ganz einfach mit einem zweiten verlängert, wie man damit vom Oberkörper zum unteren Teil des Körpers übergehen kann und wie man die Seilenden am Ende ästhetisch verknotet damit nichts störend runterhängt. Es gibt noch ein paar andere Anfängerpaare, die wie wir bei den Grundlagen auf dem Boden bleiben, die anderen sind im anderen Teil des Raumes schon mit anspruchsvolleren Hängefesselungen beschäftigt. Sie sind alle sehr ernst und konzentriert am Werk, während mein Mann und ich nebenbei herumalbern und lachen und knutschen, während seine Hände sich immer mal wieder auf meine nackten, gefesselten Brüste verirren.
Zum Schluss fragt Nicole, ob ich nicht probeweise auch einmal hängen möchte. Zack zack verschnürt sie mich kunstvoll und hängt mich an drei Seilen – eins an der Schulter, eins an der Hüfte und eins am Knie – an einen Haken. Es fühlt sich schon ganz schön an, so zu schweben, und an den lüsternen Blicken meines Mannes sehe ich, dass es ihm auch gefällt und seine Fantasie ganz schön auf Touren bringt.
Die Seile hinterlassen nach dem Abfesseln wunderschöne Abdrücke auf der Haut, anders als bei der flauschigen Baumwolle. Und sie halten besser. Selbst wenn man die Handfesselung löst, weil die Hände anfangen zu kribbeln, bleiben die Schnürungen um den Körper ganz fest. Am nächsten Tag bestellen wir uns auch solche.